Gedenken in Hohwacht

27. Januar 2019

Reden von Cornelia Möhring und Eva Romig zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus

Rede Cornelia Möhring am 27.01.2019 am Gedenkstein in Hohwacht für die Opfer des Nationalsozialismus

Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Anwesende,

zuerst möchte ich mich beim  „Bündnis Hohwachter Geschichte“ und den einladenden Einzelpersonen dafür bedanken, dass ich heute hier sprechen darf.

Vor zwanzig Jahren wurde durchgesetzt, dass hier ein Gedenkstein daran erinnert, dass es hier eine Außenstelle des KZ Neuengamme gab und damit an die vielen die hier gelitten haben, erinnert. Da waren bereits einige von Euch dabei.

Ich bin erst in dem Jahr 2000 hierher gezogen, da hattet ihr also diesen Teil der Arbeit schon getan. Ich bin aber sehr froh, dass ich noch Bernd Romig kennenlernen durfte und durch seine Arbeit die Historie dieses Ortes. Ich habe dadurch bei jedem Seminar im Hotel dort drüben immer denjenigen gedacht, die hier in der Außenstelle Zwangsarbeiter waren und ihnen gedacht.

Heute möchte ich aber vor allem etwas zur aktuellen Lage sagen.

Denn Erinnerung ist nie nur Erinnerung!

Erinnern heißt kämpfen. Das sollten wir uns gerade in der aktuellen Zeit vergegenwärtigen.

Mit der AfD haben wir erstmals seit 1945 wieder eine organisierte rechtsradikale, in Teilen völkisch-nationale bis faschistische Kraft im Bundestag.

Nahezu wöchentlich gibt es Berichte über Nazis in den Staatsapparaten:

  • Die Hannibal-Recherche der taz hat ein rechtes Netzwerk von Soldaten, Polizisten und Verfassungsschutz offen gelegt. 
  • In Hessen geben Polizisten Daten an Nazi Strukturen weiter, die Menschen einschüchtern und sich NSU 2.0 nennen,
  • In Berlin wussten Verfassungsschutz und Polizei über Anschläge auf Menschen die sich gegen Rechts engagieren Bescheid und haben nichts getan.

Menschenfeinde sitzen in Ministerien: anders lässt es sich nicht beschreiben, wenn sich ein Innenminister zu seinem Geburtstag über die Abschiebung von 69 Menschen nach Afghanistan freut.

Menschen wiederum, die andere Menschen auf dem Mittelmeer vor dem Tod retten, werden kriminialisert.

Während Medien und Politiker*innen sich dabei überschlagen haben, sich von dem Angriff auf den Bremer AfD Abgeordneten Magnitz zu distanzieren, ist die öffentliche Empörung über den rassistischen Terroranschlag in Bottrop erstaunlich verhalten geblieben.

Das alles darf nicht unwidersprochen bleiben, darf nicht einfach so passieren und sich als Normalität in den Alltag einschleichen.

Wir sind es denen, an die wir heute erinnern, den Überlebenden als auch den Toten der Konzentrations- und Vernichtungslager, – die von Deutschen errichtet und betrieben wurden – schuldig, alles dafür zu tun, dass sich die Geschichte nicht wiederholt.

Gegen Nazis ob in Springerstiefeln oder im Anzug müssen wir klare Kante zeigen, wir müssen eine rote Linie ziehen:

Das heißt: Stopp – so nicht weiter!

Wir müssen klar machen, dass menschenverachtende Positionen bekämpft gehören und kein Diskussionsgegenstand sind:

Nein! Mit Rechten redet man nicht. Man diskutiert nicht darüber, ob die Menschenwürde vielleicht doch antastbar ist.

Liebe Freundinnen und Freunde,

bei all den Horrorszenarien dürfen wir uns nicht entmutigen lassen:

Es gibt an etlichen Orten Menschen, die sich neuen und alten Nazis entgegenstellen, die sich nicht damit abfinden wollen, dass Menschen im Mittelmeer ertrinken, die sich vor Polizeiautos setzen um Abschiebungen zu verhindern, die praktisch solidarisch unterwegs sind, in der Flüchtlingshilfe, der Seebrücke, in Bündnissen (ganz neu die „Omas gegen Rechts“ – da dürfen auch Opas mitmachen 😉 ), in der VVN –  so wie auch viele der die hier heute stehen.

Genau so geht’s – genau so muss der aktuelle Kampf gegen Rechts weitergehen. Ich möchte mit einem Zitat von Primo Levi meinen Beitrag beenden: „Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen: darin liegt der Kern dessen, was wir zu sagen haben.“

Ich danke euch. 

(Es gilt das gesprochene Wort)

Zum 27. Januar 2019 

Rede von Eva Romig in Hohwacht am Gedenkstein für die Opfer des Nationalsozialismus

Am Stein des Erinnerns an das KZ-Außenlager Hohwacht kommen wir wieder hier zusammen, 74 Jahre nach der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz am 27. Januar 1945 durch die Rote Armee. Wir sind hier, um aller Opfer der Nazis, aller Opfer in den KZ’s zu gedenken, aber im nesonderen der 200 Männer in einem Außenkommando des KZ Neuengamme – inhaftiert hier in Baracken und vom November 1944 bis April 1945 als Arbeitssklaven ausgebeutet und gequält. Sie hatten Todesangst, mussten sie doch stündlich mit ihrer Liquidierung durch die SS rechnen. Sie wurden gezwungen, an der Produktion von Steuerungsteilen der Raketen V1 und  V2 mitzuarbeiten, die den Sieg Nazi-Deutschlands herbeizaubern sollten.

Die Männer bildeten ein Facharbeiter-Kommando aus 10 Nationalitäten, von Frankreich bis zur Sowjetunion. Sie waren aus anderen KZ’s, wie Buchenwald und Auschwitz, hierhergekommen. Sie hatten bis auf 2 Häftlinge das Glück, bis zum Kriegsende zu überleben und sich zu den britischen Soldaten durchschlagen zu können. Der 35-jährige Franzose Reiny Gache kam hier ums Leben, ein anderer Häftling bei der Evakuierung dieses Außenkommandos. Soviel zur Historie.

Die Blutspur, die die Deutschen zwischen 1933 und 1945 durch Europa gezogen haben, ist so unfassbar und barbarisch gewesen, dass das niemals vergessen und gesühnt werden kann. 75 Jahre nach dem Holocaust – drei Generationen nach der Shoah – aber breitet sich der Antisemitismus in Deutschland wieder aus. Das Klima im Land hat sich geändert: Extrem rechtes Gedankengut verbreitet sich. Rassismus und dummer Nationalismus sind wieder salonfähig geworden. Ganz offen formulieren die deutschen Rechten ihre Ziele: Druck aufbauen, die Gesellschaft verunsichern, das politische System destabilisieren, in Vereine, Gewerkschaften, Gerichte, Polizei, Bundeswehr und Schulen rechtspopulistische rechtsradikale Überzeugungen einfließen lassen, mit extremistischen Bestrebungen im braunen Tornister. Ich befürchte, zum Teil hat das die Rechte schon geschafft. 

Das macht mir große Angst!

Deutschland hat ein Antisemitismusproblem, das gerade aufgrund seiner Vergangenheit strategisch allumfassend und vor allem ehrlich angepackt werden muss. Es ist mir unverständlich, wie sich hier eine Partei wie die AfD gründen, ausbreiten und behaupten konnte und kann, mit einem hohen Stimmenanteil bei Wahlen von zum Teil 24 %; eine Partei, die antisemitische, rassistische, fremdenfeindliche Thesen ungeahndet verbreiten darf. Sie ist ein Sammelbecken für Rassisten und extreme Rechte. Und sie sitzt im Bundestag. Wir haben zu lange weggesehen. Und wenn überhaupt, dann ging’s immer gegen links, nie gegen rechts. Was nicht verwunderlich ist , denkt man an Adenauers Globke, an Kiesinger, an (kaum ehemalige!) Nazis in hohen Regierungsämtern. Rechte Überzeugungen und ihre Auswüchse finden sich inzwischen unter Politikern. Polizisten, Lehrern, in der Bundeswehr, in Fußballvereinen (wie bei Dynamo Dresden). 

Es ist wieder traurige Wirklichkeit, dass sich Juden in Berlin nicht mehr trauen, eine Kippa zu tragen, sich öffentlich zum Judentum zu bekennen, um nicht Pöbeleien, Übergriffen bis hin zu Prügel und Schlägen ausgesetzt zu sein.

Ich schäme mich!  

Auschwitz: das war Eichmann als Schreibtischtäter, das war Mengele als Lagerarzt. 1,2 Millionen Menschen sind in Auschwitz zu Tode gekommen, 6 Millionen Juden in Hitlers „tausendjährigem Reich“ – ein Genozid unvorstellbaren Ausmaßes. Juden, die Auschwitz überlebt haben – ich traf einige von ihnen in Berlin – konnten nicht mehr weinen. Es ging einfach nicht. Wenn man das Schlimmste erlebt hat, was Menschen Menschen antun können, dann hat man keine Tränen mehr … 

1964 war der Auschwitz-Prozess in Frankfurt. Aus meiner Sicht viel zu spät und mit viel zu wenigen harten, gerechten Verurteilungen. Teile der Deutschen scheinen aus alldem nichts gelernt zu haben. Sie wollen keine Erinnerungs- und Trauerarbeit leisten. Und auch darum sind Entwicklungen und Ereignisse wieder möglich, wie 2018 in Chemnitz mit einem Trauermarsch, von AfD und Pegida initiiert, wo ein Deutscher angeblich von syrischen und irakischen Flüchtlingen erstochen worden war und dann das Ganze in Wut und Hass marodierend ausartete. In Dortmund marschieren Radikale mit der alten Deutschlandfahne durch die Stadt und grölen „Wer Deutschland liebt, ist Antisemit.“ und „Das System ist am Ende, wir sind die Wende.“ und die begleitenden Polizisten schreiten nicht ein, was zum Himmel stinkt. Vermummte stehen nachts mit Fackeln vor Flüchtlingsheimen, wie der Ku-Klux-Kann, und brüllen: „Ausländer raus!“

Tabus fallen!

Immer häufiger grüßen sich Rechte in ihren SMS mit der Zahl 88. Die 8 steht für H, den 8. Buchstaben des Alphabets. Im Code der Rechtsradikalen bedeutet 88 HH für Heil Hitler. An Laternenmasten und Stromkästen in Deutschland kleben Sticker „Dortmund ist judenfrei!“ Dort leben u.a. Skinheads, Hooligans und Aktivisten der Partei „Die Rechte“. In MeckPomm ermittelt der Generalbundesanwalt gegen einen Polizeibeamten, der mit einer Gruppe anderer Männer plante, Linke hinzurichten. An einem jüdischen Mahnmal hingen brennende Kränze … Ausgerechnet!!! Und so gibt es leider dutzende von Beispielen dieser Art bei uns. Und, ach ja, in Chemnitzer Schulen wird im Geschichtsunterricht – und nicht zum Spaß – wieder der Hitler-Gruß gezeigt, und es werden Witze über Auschwitz gerissen …

Als Anmerkung noch: Gefährlich, und eine permanente Beobachtung wert, ist der rechtsnationale Flügel um den Thüringer AfD-Chef Björn Höcke und um die Nachwuchsorganisation der AfD „Junge Alternative“.

Ich denke, wir müssen uns entscheiden, zu welchen Menschen wir gehören wollen: Zu denen, die dem Wiedererstarken nationalsozialistischer Gesinnung, mit entsprechender Verbreitung durch Aktionen, gleichgültig gegenüberstehen, oder zu denen, die lautstark dagegen protestieren, aufstehe, widersprechen, anklagen, demonstrieren, sich einmischen überall dort, wo rassistische, antisemitische Hetze und menschenverachtende Äußerungen und Aufrufe laut werden, wo rechte Gewalt und Meinungsmache auftreten.

Ich werde das tun!

Danke für eure Aufmerksamkeit.(Es gilt das gesprochene Wort)